2015 176So wie im Vorjahr besuchten in diesem Schuljahr wieder ZeitzeugInnen das G19. Beide sprachen im Rahmen der „Aktionstage Politische Bildung“ und auf Initiative von www.erinnern.at. Am 21. April 2015 vor zwei Schweizer Schulklassen, zwei weiteren Wiener Schulklassen sowie der Unverbindlichen Übung Politische Bildung (4. Klassen). Und am 5. Mai Gertraud Fletzberger vor SchülerInnen der UÜ Politische Bildung (4. Klassen) und einer 4. Klasse der NMS Neulandschule.

 

 

Alois Kaufmann

Alois Kaufmann wurde 1934 in Graz geboren und von seiner Mutter zunächst zu Pflegeeltern gegeben. Mit vier Jahren kam er zu einer Verwandten seines Vaters nach Wien. 1943 wurde er in die Kinderübernahmestelle eingewiesen und von dort an das "Wiener Städtische Erziehungsheim" auf dem "Spiegelgrund" überwiesen, wo er bis April 1945 bleiben musste. Seine Kindheitserlebnisse in dieser NS-Euthanasieanstalt haben ihn nie wieder losgelassen. Seit den 1980er Jahren arbeitet er daran, dass die Geschichte der Kinder vom "Spiegelgrund" nicht im Vergessen verschwindet.
Herr Kaufmann, einer der wenigen Überlebenden der Kindereuthanasieanstalt „Am Spiegelgrund“ (heute „Psychiatrisches Krankenhaus Baumgartner Höhe“), berichtete von seinen traumatischen Erfahrungen als Neun- bis Elfjähriger in dieser Anstalt. Am „Spiegelgrund“ wurden bis 1945 rund 800 Kinder ermordet.

Gertraud Fletzberger

Gertraud Fletzberger wurde 1932 unter ihrem Mädchennamen Propper in Wien geboren. Sie war als Augenzeugin dabei, als Adolf Hitler am 15. März 1938 inmitten seiner Wagenkolonne die Mariahilferstraße unter ohrenbetäubenden „Heilrufen" die versammelten Menschenmassen entlangfuhr. Von diesem Tag an wurde für ihre bis dahin glückliche Familie schrittweise alles anders. Schließlich war es für die Familie klar, dass nur noch der Weg in die Emigration blieb. Nachdem es nicht gelungen war, für die gesamte Familie Visa zu erhalten, beschlossen ihre Eltern zunächst ihren zehnjährigen Bruder, ihre fünfjährige Schwester und sie mit einem Kindertransport der Schwedischen Israelmission nach Schweden zu schicken. Die Kinder wurden in  verschiedenen Familien in unterschiedlichen Städten untergebracht. Nachdem Gertraud Fletzberger fast zwei Jahre bei ihren Pflegeeltern gelebt hatte, konnte sie von ihrer Mutter, die nach Schweden gekommen war und eine sehr bescheidene Wohnung gemietet hatte, aufgenommen werden.

Die ganze Zeit in Schweden war durch die Angst und Sorge um das Überleben ihres Vaters, der zuerst in Italien, dann in Frankreich auf der Flucht vor den Nationalsozialisten war, geprägt. Wie durch ein Wunder überlebte er, und erst 1947 war die Familie wieder in Wien vereint. 

Schwedisch war zu ihrer „Muttersprache" geworden, Deutsch musste sie wieder lernen, deshalb wurde sie als „Rückwanderin" zu einer Fremden im eigenen Land.

 

Die SchülerInnen der Unverbindlichen Übung Politische Bildung schrieben im Anschluss an die beiden Zeitzeugengespräche kurze Berichte und Reflexionen. Daraus einige Auszüge:

 

Ich habe die zwei Zeitzeugenbesuche sehr interessant gefunden, weil es spannend war, solch besondere Lebensgeschichten aus erster Hand zu hören. Besonders beeindruckt haben mich die positiven Lebenseinstellungen der beiden, nachdem vor allem Alois Kaufmann so eine schwere Kindheit in der NS-Euthanasieanstalt am Spiegelgrund hatte. Seine Bereitwilligkeit, selbst an einem Tag, an dem er Fieber hatte, zu uns in die Schule zu kommen und von seinen traumatischen Erlebnissen zu berichten, hat mich beeindruckt. Auch die Geschichte von Gertraud Fletzberger war faszinierend, da sie von ihrer Zeit als Schulkind bei einer Pflegefamilie in Schweden erzählt hat und wie schwer ihr teilweise die Integration gemacht wurde.

Ich habe sehr positive Eindrücke aus den Gesprächen mitgenommen, obwohl natürlich auch sehr schreckliche Aspekte dabei waren und hoffe, dass Herr Kaufmann und Frau Fletzberger noch vielen Schülern von ihren Erlebnissen berichten können.

Sebastian H.

 

Alois Kaufmann schilderte seine Zeit in der Euthanasieanstalt so bewegt und emotional, dass wir ihm alle eine schönere und glücklichere Kindheit gewünscht hätten.

Besonders gut gefallen hat mir, wie er uns eindrücklich vermittelt hat, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, was wir tun und wir deswegen nicht unüberlegt handeln sollen.

Adrian G.

 

Das Zeitzeugengespräch/die Zeitzeugengespräche haben mir viel Information gebracht. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass es überhaupt eine Euthanasieanstalt gab, und man eigentlich als unschuldiges Kind dorthin gebracht wurde. Mir war nicht bewusst, dass die Kinder so schlecht behandelt wurden.

(…) Ich fand es sehr toll, dass wir diese Zeitzeugengespräche hatten. Diese Personen waren sehr bewundernswert. Man hat mehr Einblick in die damalige Zeit bekommen. Außerdem ist es wichtig, dass junge Menschen von der schrecklichen Zeit lernen, da dies nie wieder passieren darf.

Alexandra G.

 

Es ist erschreckend, wenn ich daran denke, dass diesen Menschen – wie vielen anderen auch – ihre Kindheit gestohlen wurde und sie mit so schlimmen Erinnerungen leben müssen.

Jeder von uns muss mithelfen, dass so etwas nie wieder passiert. Wir Jugendlichen müssen informiert und aufgeklärt werden, damit dieses Leid nicht vergessen wird.

Felix G.

 

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